Mitteilung des "Nordkurier" über die Enthüllung des plattdeutschen Ortsnamen von Neubrandenburg am 2.3.23. (https://www.nordkurier.de/regional/neubrandenburg/neubrandenburg-gruesst-jetzt-am-ortseingang-up-platt-1433831)

Projekttitel

„Niederdeutsche Ortsnamen in Mecklenburg-Vorpommern“

 

Projektleitung und Projektbeteiligte bzw. Kooperationspartner

Koordination:

  • Dr. Karola Stark (Heimatverband Mecklenburg-Vorpommern e. V.)

 

Arbeitskreis „Niederdeutsche Ortsnamen in Mecklenburg-Vorpommern“

  • Prof. Dr. Andreas Bieberstedt (Universität Rostock – Institut für Germanistik),
  • Dr. Matthias Vollmer (Universität Greifswald – Arbeitsstelle Pommersches Wörterbuch),
  • Dr. phil. habil. Birte Arendt (Universität Greifswald – Kompetenzzentrum für Niederdeutschdidaktik),
  • Dr. Karola Stark (Heimatverband Mecklenburg-Vorpommern e. V.)
  • Dr. Martin Buchsteiner (Heimatverband Mecklenburg-Vorpommern e. V.)

 

Kooperationspartner:

  • Wossidlo-Forschungsstelle für Europäische Ethnologie/Volkskunde (Dr. Petra Himstedt-Vaid),
  • Arbeitsstelle "Niederdeutsch in Mecklenburg-Vorpommern" (Prof. Hanna Fischer / PD Dr. Klaas-Hinrich Ehlers  (Universität Rostock - Institut für Germanistik)

 

Mitarbeitende (per Werkvertrag):

  • Nadine Koop (Universität Rostock, DFG-Projekt „Wossidlo-Teuchert online“)

 

Förderstatus

Gefördert durch Mittel des Heimatverbandes Mecklenburg-Vorpommern e. V.

 

Laufzeit

seit 2021 fortlaufend

 

Ausgangspunkt

Im Bundesland MV besteht seit dem Jahr 2021 die Möglichkeit zur Ergänzung der amtlichen Ortsschilder durch niederdeutsche Zusatzschilder. Damit folgt MV dem Beispiel anderer norddeutscher Bundesländer. Bereits im Jahr 2004 wurden etwa im Bundesland Niedersachsen die ersten zweisprachigen Ortsschilder aufgestellt, es folgten 2007 Schleswig-Holstein, 2010 Hamburg sowie 2018 Nordrhein-Westfalen. In den beginnenden 2020er Jahren verabschiedeten auch die Bundesländer Brandenburg (2020) und Sachsen-Anhalt (2020) Verordnungen zu niederdeutschen Ortsbenennungen.

Grundlage der plattdeutschen Namensgebungen bildet ein Beschluss des mecklenburg-vorpommerschen Landtages vom Anfang des Jahres 2020. Im März des darauffolgenden Jahres erging ein Erlass des verantwortlichen Infrastrukturministeriums über die Zulassung niederdeutscher Ergänzungsschilder für Ortseingangsschilder an die Landkreise und kreisfreien Städte. Das erste Zusatzschild wurde am 6. Juli 2022 in dem Dorf Breest im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte enthüllt. Als niederdeutsche Namensentsprechung wurde Breist mit der für die Sprachregion charakteristischen mecklenburgischen Diphthongierung des niederdeutschen Langmonophthongs e gewählt. Es folgten als zweite Ortschaft die Stadt Grevesmühlen (Grevsmœhlen) im Landkreis Nordwestmecklenburg sowie im Jahr 2023 u. a. die mecklenburgischen Reuterstädte Neubrandenburg (Niegenbramborg) und Stavenhagen (Stemhagen) und die vorpommersche Universitätsstadt Greifswald (Griepswold). Aktuell (Stand: Juni 2024) sind es in MV sechs Ortschaften, die sich bereits niederdeutsche Zusatzbezeichnungen gegeben haben (Breest Breist, Grevesmühlen Grevsmœhlen, Neubrandenburg Niegenbramborg, Stavenhagen Stemhagen, Greifswald Griepswold, Buchholz Baukholt), zahlreichere weitere Orte sind im Benennungsprozess oder diskutieren eine mögliche Zusatzbezeichnung.

Hintergrund dieser Aktivitäten sind die verstärkten Bemühungen der norddeutschen Bundesländer um eine Förderung des Niederdeutschen als Regionalsprache im Kontext der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen aus dem Jahr 1992, die 1999 in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft gesetzt wurde. In Teil III der Charta, den die fünf Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bremen unterzeichnet haben, sind unter Artikel 10 auch Maßnahmen zur Förderung und Verwendung des Niederdeutschen in Verwaltungsbehörden und in öffentlichen Dienstleistungsbetrieben festgeschrieben. Zu ermöglichen ist der Charta zufolge der „Gebrauch oder die Annahme der herkömmlichen und korrekten Formen von Ortsnamen in Regional- oder Minderheitensprachen, wenn nötig in Verbindung mit dem Namen in der (den) Amtssprache(n).“ (Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen 1992, 9. Online verfügbar unter: https://www.coe.int/de/web/european-charter-regional-or-minority-languages/wortlaut-der-charta. Zugriff: 16.6.24)

Als Konsequenz aus diesen Vorgaben schufen die norddeutschen Bundesländer in den vergangenen Jahren die verwaltungsrechtlichen Grundlagen für die Errichtung zweisprachiger, hochdeutsch-niederdeutscher Ortsschilder bzw. amtlicher niederdeutscher Zusatzschilder. Forciert wurde diese Entwicklung zum einen durch Initiativen und Projekte der Fördereinrichtungen für das Niederdeutsche, der Niederdeutschbeiräte und Heimatverbände der Länder sowie zahlreicher regionaler und lokaler Vereine, die intensiv und kooperativ auf die Ermöglichung plattdeutscher Ortsschilder als Mittel zur Sichtbarmachung des Niederdeutschen im öffentlichen Raum hinwirkten. Zum andern reagierte das politische Handeln auf ein wachsendes Interesse der norddeutschen Bevölkerung und Gemeinden an der niederdeutschen Sprache als Bestandteil der regionalen kulturellen Überlieferung, das sich auch als Reaktion auf die rasant schwindende Zahl aktiver Dialektsprecher verstehen lässt. Und nicht zuletzt dienen plattdeutsche Ortsbezeichnungen auch einer positiven Imagebildung der Gemeinden im öffentlichen Raum, aufgrund der allgemein positiven Einstellung der Bevölkerung in Norddeutschland gegenüber der niederdeutschen Sprache (vgl. u. a. die Ergebnisse der repräsentativen Umfrage des Instituts für Niederdeutsche Sprache aus dem Jahre 2016, der zufolge unter anderem 85% der Befragten in MV der Aussage zustimmen, Niederdeutsch solle mehr gefördert werden: ins-bremen.de/ergebnisse/). 

 

Arbeitskreis „Niederdeutsche Ortsnamen in Mecklenburg-Vorpommern“

Das stetig wachsende Interesse von Gemeinden in MV an niederdeutschen Ortsnamen machte in den letzten Jahren eine Professionalisierung und Systematisierung des Namensgebungsprozesses notwendig. Wissenschaftlich begleitet wird dieser von den beiden Landesuniversitäten Rostock und Greifswald, die für die Recherche und linguistische Bewertung niederdeutscher Namensformen verantwortlich zeichnen und entsprechende Vorschläge für die interessierten Gemeinden erarbeiten. Die Koordination erfolgt über den Heimatverband Mecklenburg-Vorpommern.

Vertreterinnen und Vertreter beider Universitäten und des Heimatverbandes sind in einem Arbeitskreis „Niederdeutsche Ortsnamen in Mecklenburg-Vorpommern“ zusammengeschlossen. Seitens der Universität Rostock gehört diesem Arbeitskreis die Professur für Niederdeutsche Philologie an (Andreas Bieberstedt), seitens der Universität Greifswald das Kompetenzzentrum für Niederdeutschdidaktik (Birte Arendt)  und die Arbeitsstelle des Pommerschen Wörterbuchs (Matthias Vollmer). Von Seiten des Heimatverbands MV engagieren sich Karola Stark und Martin Buchsteiner in dem Arbeitskreis. Seit Mai 2024 wird die wissenschaftliche Recherche zusätzlich durch einen vom Heimatverband geförderten Werkvertrag abgesichert (Nadine Koop).

In Recherchefragen arbeitet der Arbeitskreis überdies mit verschiedenen Arbeitsstellen und Projekten zusammen, so mit der Wossidlo-Forschungsstelle für Europäische Ethnologie/Volkskunde und der Arbeitsstelle "Niederdeutsch in Mecklenburg-Vorpommern" an der Universität Rostock.

 

Ausgewählte wissenschaftliche Richtlinien zur Findung plattdeutscher Ortsnamen

Eine umfassende Publikation, welche die linguistischen Prinzipien, nach denen plattdeutsche Namensvorschläge bewertet werden, offenlegt, soll im Laufe des Jahres 2024/25 veröffentlicht werden. Kleinere Publikationen sind in Vorbereitung und stehen in Kürze zu erwarten.

Für die Bewertung niederdeutscher Ortsbezeichnungen in MV wurden mehrere Leitlinien entwickelt, von denen die wichtigsten nachfolgend kurz skizziert werden sollen:

  1. Im Fall von existierenden niederdeutschen Namenvarianten gilt als Grundregel für deren Bewertung eine Orientierung am aktuellen Sprachgebrauch, d.h. zunächst an den Vorschlägen und Mitteilungen aus der Sprechergemeinschaft. Auf diese Weise soll die Verwendung historischer oder historisierender Varianten vermieden werden. Vergleichend wird Sprachmaterial aus dem 20. und 21. Jahrhundert aus verschiedenen Quellen herangezogen. Sollte von den interessierten Gemeinden keine aktuell gebräuchliche Variante zur Bewertung vorgeschlagen werden (können), dient dieses Sprachmaterial als primäre Orientierungsgröße.
  2. Im Falle jüngerer Ortsnamen ohne niederdeutsches Vorbild bzw. bei Namenswechseln können, wo es sinnvoll erscheint, Neubildungen vorgenommen werden, zum einen in Analogie zu bereits bestehenden nd. Ortsnamen, zum andern unter Berücksichtigung der sprachlichen Leitformen des Mecklenburgisch-Vorpommerschen und seiner großräumigen Varianten (Westmecklenburgisch, Ostmecklenburgisch, Mecklenburgisch-Strelitzisch, Vorpommersch, Mittelpommersch, Rügener Pommersch). Inwiefern eine niederdeutsche Neubildung tatsächlich plausibel ist, muss im Einzelfall entschieden werden.
  3. Es wird eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen Aussprache und Schreibung vorgenommen.
  4. Für die Schreibung wird eine größtmögliche Regelhaftigkeit und überregionale Einheitlichkeit angestrebt, ohne dass regionale Sprachbesonderheiten nivelliert werden. Dies hat zur Konsequenz, dass sich die Schreibung im schwierigen Balanceakt zwischen Aussprachenähe und Normierung bewegt und die vorgeschlagene Schreibform nicht unbedingt die gesprochenen Formen widerspiegelt. Zum Beispiel werden die unterschiedlichen, kaum systematisierbaren Aussprachevarianten von hochdeutsch -burg (Neubrandenburg), wie etwa -borch, -booch, -buich, -borg, -burg in der Schriftsprache zu -borg (Niegenbramborg) vereinheitlicht. Insbesondere für die niederdeutsche Entsprechungen häufig wiederkehrender Namensbestandteile wird eine größtmögliche Einheitlichkeit angestrebt (z. B. für hochdeutsch -hof, -hagen, -dorf).
  5. Von diesem Grundprinzip abweichend wird regionale Varianz in solchen Fällen berücksichtigt, wenn sie: a) relevant ist für die Akzeptanz der Namenform seitens der Sprechergemeinschaft; b) dem gegenwärtigen Usus entspricht; c) die großräumigen Varianten des Mecklenburgisch-Vorpommerschen widerspiegelt. So werden die unterschiedlichen Aussprachevarianten von hochdeutsch Neu-/Neuen-, wie Niegen-, Nieden- und Nien- (Niegenstrelitz, Niedenkirchen, Nienhagen), auch in der Schreibung berücksichtigt, da sie mit der intervokalischen Hiattilgung auf -g- oder -d- ein wichtiges Differenzierungsmerkmal der verschiedenen regionalen Varianten des Mecklenburgisch-Vorpommerschen abbilden. Zum Beispiel lautet der Vorschlag der Sprechergemeinschaft für die vorpommersche Ortschaft Neuenkirchen auf Rügen Niegenkirchen, für das im südwestlichen Mecklenburg bei Zarrentin gelegene Neuenkirchen dagegen Niedenkirchen bzw. Niedenkarken.
  6. Die Schreibung soll eine größtmögliche Nähe zur hochdeutschen Orthographie aufweisen, u. a. um eine Verständlichkeit des niederdeutschen Ortsnamens auch für nicht-dialektkompetente Personen zu gewährleisten. Dies bedeutet u. a. den weitgehenden Verzicht auf Sonderzeichen, die nicht im hochdeutschen Alphabet vorgesehen sind, sowie die Übernahme etwa der amtlichen Regeln für die Kennzeichnung von Vokalquantitäten und -qualitäten.
  7. Angewandt werden die Orthographieregeln nach Renate Herrmann-Winter, wie sie u. a. in ihrem Plattdeutsch-hochdeutschen Wörterbuch niedergelegt sind. Herrmann-Winters Orthographie bietet den Vorteil, dass sie auf die Varietät des Mecklenburgisch-Vorpommerschen abgestimmt ist und auch in den aktuellen populärwissenschaftlichen Wörterbüchern zum Mecklenburgisch-Vorpommerschen verwendet wird. Für MV dürfen die Regeln von Herrmann-Winter als allgemein akzeptierte und durchgesetzte Rechtschreibung gelten. Zudem sind sie auch die im Schulrahmenplan für das Fach Niederdeutsch an Schulen in MV amtlich festgelegte Orthographie und werden in den entsprechenden Lehrwerken benutzt. Letzterer Aspekt ist insbesondere in didaktischer Hinsicht bedeutsam, da sich die aktuellen bildungspolitischen Bemühungen um das Niederdeutsche auf den schulischen Bereich und damit die junge Generation von Niederdeutsch-Lernern und -Sprechern konzentrieren.
  8. Die Verwendung des Regelsystems von Herrmann-Winter kann mit der unter Punkt 6 formulierten Prämisse einer größtmöglichen Nähe zur hd. Orthographie in Konflikt geraten, da es mit einem Set ausgewählter Sonderzeichen arbeitet, mit dem lautliche Besonderheiten des Niederdeutschen verschriftlicht werden können. Dies betrifft u. a. die graphische Differenzierung zwischen geschlossenem und offenem Langvokal o (/ø:/ respektive /œ:/), die als ‹ö› bzw. ‹œ› verschriftlicht werden: för, glöben versus Kœk, œwer. Sichtbar wird dies z. B. in der niederdeutschen Bezeichnung für Grevesmühlen (Grevsmœhlen).
  9. Einen besonderen Problembereich stellen die in MV zahlreichen Orte slawischen Ursprungs dar. Hier wird die für das Land Brandenburg geltende Regelung übernommen:
  •  „Gibt es für slawisch (apol.) basierte Ortsnamen, die auf -ow enden (wobei das -w in der Regel nicht gesprochen wird), jüngere niederdeutsche Varianten, wird [sic!] diese übernommen. Wird jedoch lediglich auf die Endung -w verzichtet, wird diese Schreibung nicht empfohlen. Soweit weitere Veränderungen in der niederdeutschen Variante desselben Wortes auftreten, können diese insgesamt übernommen werden.“ (Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur (Hrsg.) 2022: Plattdüütsch sichtboar moaken. Niederdeutsch sichtbar machen. Arbeitsmaterial des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg in Zusammenarbeit mit dem Verein für Niederdeutsch im Land Brandenburg e. V. – mit einer Ortsnamenliste. S. 24)

 

Anfragen und weitere Informationen

Anfragen zu niederdeutschen Ortsnamen können an die Koordinationsstelle beim Heimatverband MV gestellt werden und werden von Karola Stark bearbeitet. Auf der Homepage des Heimatverbands sind darüber hinaus Informationen zu den rechtlichen Grundlagen und zum Prozedere des Vergabeprozesses plattdeutscher Ortsnamen erhältlich.

Link: www.heimatverband-mv.de/niederdeutsch/plattdeutsche-ortsschilder.html

 

Literatur

folgt